Qutb Minar – Sehenswürdigkeit mit historisch bedeutsamen Charakter

Hier könnt ihr meinen zweiten Artikel für das india! Magazin lesen:

Nicht weit von Delhi entfernt, gerade einmal 15 km und innerhalb von 30 Minuten Fahrt ab Neu-Delhi erreichbar, liegt der Denkmalkomplex rund um das Qutb Minar.

Dieses stellt einen überaus sehenswerten Teil der kulturellen Geschichte des Landes dar. Das Qutb Minar wird eingeordnet als Siegesturm, bzw. Minarett, und somit oft als Beginn der muslimischen Herrschaft des Landes gesehen. Doch birgt der Gebäudekomplex in seiner Gesamtheit eine weit tiefer gehende geschichtliche Bedeutung.

Der Komplex wurde im Jahr 1193 errichtet und gehört heute zu den UNESCO World Heritage Sites. Die bedeutendsten Teile sind der Siegesturm und die Quwwat-ul-Islam-Moschee, welche zu Füßen der Säule steht und als früheste Moschee Indiens gilt.

Das Qutb Minar selbst besteht aus fünf charakteristischen Stockwerken, wovon die unteren drei aus rotem Sandstein und die oberen beiden aus Marmor und Sandstein gefertigt wurden. Der Auftraggeber, der türkische Feldherr Qutb-du-Din Aibak, der im 11. Jahrhundert die Stadt eroberte, hatte jedoch nur den Bau des ersten Stockwerkes miterleben können. Die weiteren Elemente wurden in den folgenden Jahrhunderten vervollständigt. Der Turm verdünnt sich nach oben hin von beginnenden 15 m Durchmessern hin zu lediglich 2,5 m an der Spitze.

Die Masjid-i Jama Moschee (Freitagsmoschee), welche erst im 19. Jahrhundert ihren neuen Namen  Quwwat-ul-Islam („die Macht des Islam“) erhielt, ist ein ebenso wichtiger Bestandteil des geschichtlichen Erbes des Komplexes. Auch an der Moschee fanden im Laufe der Jahre viele Um- und Anbauten statt. Einer persischen Inschrift am Osttor zufolge wurde sie aus Teilen von 27 zerstörten Hindu-Tempeln errichtet. Sicher ist auf jeden Fall, dass die ursprüngliche Moschee auf den Grundmauern eines Tempels errichtet wurde.

Bei einem Rundgang über den Innenhof der Moschee kann man die hohe Eiserne Säule (Iron Pillar) bestaunen, die besonders für ihre Rostresistenz berühmt ist. Sie ist 7 m hoch und wurde höchstwahrscheinlich bereits im 5. Jahrhundert n.u.Z. – also in der Gupta-Zeit – vom Hindu-König Chandra erbaut. Die besondere Eigenschaft des Materials wurde bisher noch nicht aufgeklärt und bleibt deshalb äußerst erstaunlich – vor allem für die Möglichkeiten der damaligen Zeit. Einer Sage nach soll demjenigen ein Wunsch in Erfüllung gehen, der es schafft die Säule, den Rücken zu ihr gewandt, mit den Armen zu umfassen.

 

Die Gründe für den Bau sind bis heute umstritten; es gibt verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Für viele Bewohner Delhis stellt der Qutb Minar die glorreiche Vergangenheit der Stadt vor der kolonialen Herrschaft dar, wobei oft von einer harmonisch ablaufenden Verschmelzung von islamischer und hinduistischer Stilelemente gesprochen wird. Angenommen wird diese friedliche Vermischung aufgrund der architektonischen Stilgeschichte.

Eine andere Möglichkeit, das eigentlich bewundernswerte Bauwerk und dessen Entstehungsgeschichte zu interpretieren, es ist, hierin einen Beweis für die frühe Demütigung und Unterwerfung der Hindu-Bevölkerung der Stadt Delhi zu sehen. Dazu wird oftmals die oben angesprochene persische Inschrift auf dem Eingangstorbogen der Moschee zitiert.

Wichtig für genauere und nicht-emotional begründete Deutung der geschichtlichen Hintergründe ist es, das Bauwerk selbst und dessen Aussagen zu betrachten. Hierbei wird deutlich, dass es eines von mehreren Beispielen für eine gemeinsame kulturelle Bedeutung innerhalb eines grenzüberschreitenden Raumes in der eurasischen Kontaktzone darstellt. So ist das Qutb Minar kennzeichnend für ein bestimmtes Muster der Eroberung und symbolischen Aneignung von fremdem Gebiet, welches sich während der muslimischen Ausbreitung in Asien, Nordafrika und Südeuropa herausgebildet hat. Hierbei wurden alte Bausteine und Abbildungen des früheren Tempelkomplexes entfernt, verändert oder auch übernommen. Dieses Verfahren stellt einen bestimmten Umgang mit religiöser und kultureller Pluralität dar, der kennzeichnend für den damaligen muslimischen Ikonoklasmus ist. Beispielsweise wurden menschliche Figuren durch Veränderung religiös „gefahrlos“ gemacht, aber tierische oder symbolische Formen blieben bestehen. Dadurch wurden die alten und neuen Motive umfunktioniert und bekamen Brückenfunktionen zwischen den Religionen. Denn der Siegesturm und die Mosche stellen nicht nur einen Akt der Aneignung zum Zwecke der Legitimation des neuen Herrschers dar – der Qutb Minar ist einer Reihe von Siegestürmen angehörig, der jedoch im eigenen lokalen Kontext individuelle Bedeutung erfuhr und neue Verbindungen schuf.

Beide Rollen lassen sich bereits im Wort Qutb selbst erkennen. Denn dieses bedeutet in etwa „Achse“ oder „Zentrum“. Zentrum sowohl der politischen Herrschaft, aber auch des kulturellen Lebens des einstigen Delhi.  So erfüllte der Gebäudekomplex innerhalb einer Stadt mit unterschiedlichen sozialen Schichten und religiösen Gruppen mehrere Zwecke. Deshalb ist auch eine Moschee nicht nur als Zeichen einer Weltreligion zu betrachten, sondern auch als Raum für verschiedene Funktionen innerhalb des städtischen Alltags. Nachdem sich nämlich im 12. Jahrhundert ein Sufi in der Freitagsmoschee niedergelassen hatte, wurde dieser Ort zu einer Pilgerstätte von ansässigen Muslimen und Hindus, um dort ihr rituelles und religiöses Leben auszutragen. Der Sufi Qutb ud-Din Bakhtiyar Kaki wurde daraufhin zum Schutzheiligen der Stadt und sogar der Name Qutb Minar lässt sich auf ihn zurückführen.

Allgemein kennzeichnen das Qutb Minar und die danebenliegende Moschee den frühesten nachweisbaren Zusammenstoß zweier Religionen. Mit diesem Hintergedanken kann und sollte die große bauliche und architektonische Leistung, welche vor fast tausend Jahren erbracht wurde, bei einem Besuch bewundert werden.

Es handelt sich hierbei wirklich um ein Wahrzeichen einer schon damals hochentwickelten Kultur.

 

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