Was alles in „sexistische Kackscheisse“ und „ich als Frau“ hineininterpretiert werden kann – oder: Wann man die Twitterbenachrichtigungen ausschalten sollte

Am Wochenende war es so weit – der Social Media Dream schlechthin ging für eine Freundin von mir in Erfüllung (*hust*): Es war ein ganz normaler Samstag, aber schon eine spontane Handlung, zwei Bilder und einen Twitter Post später wurde sie zu einer kleinen Twitter Berühmtheit. Selbst eine Freundin, die fast keinen deutschen Twitter Accounts folgt bekam nach ein paar Stunden diesen Post zu sehen:

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https://twitter.com/hibiskuspark/status/886232061660540928

Natürlich flammte da zu Beginn in mir ein kleiner Neid auf ihre neu gewonnene Social Media Reichweite auf, doch kaum hatte ich mich in die Kommentare eingeklinkt, wurde mir schlagartig bewusst, was für problematische Ausmaße das ganze schon annahm: Absolut alles und jede*r hatte seinen*ihren Senf hinzuzugeben.

Für eine Zusammenfassung einiger Kommentare bitte hier klicken 😉

Um neue Perspektiven aufzuzeigen – und strengstens von der Autorin des Tweets überwacht! – hier also ein paar Punkte, die in den zahlreichen 200-500-Wort-Artikeln noch nicht zur Sprache kamen.

1. Man versucht es richtig zu machen und übersieht ein entscheidendes Problem

Mittlerweile wurde die Aktion auch von vielen Onlinemagazinen / Zeitschriften aufgegriffen (übrigens leider ohne vorher auch nur einmal Rücksprache mit der Autorin zu halten!) und wird von Feminist*innen hoch gelobt. Fünftausend Menschen können sich in irgendeiner Weise mit der polemisierend dargestellten Problemlage identifizieren und anfänglich meldeten sich in den Replies zahlreiche Frauen* und Männer* mit einem „ja, geht mir genau so!“  und das freut mich wirklich. Doch was fehlt in der Aussage: „Das Internet feiert sie“, die von zahlreichen Online Medien wiederholt wird? Richtig, ein Blick auf die unzähligen Hasskommentare, deren Blockieren und Löschen von einer einzelnen Person kaum mehr durchführbar ist. Nein, damit meine ich nicht Antworten wie „Meiner Frau gefällt kein einziger aus deiner Auswahl. Ist vielleicht deine Auswahl statt sexistisch nur egoistisch?“, sondern Antworte à la „du hure lösch dich bidde“, „ich schlag dich grün und blau“, „scheiss feministen bitch“. Es scheint erschreckend, wie schnell die Ebene der konstruktiven Auseinandersetzung verlassen wird, und welche Vorannahmen, die über das Leben der Autorin und ihren Erfahrungshorizont getroffen werden.

Außerdem werden wieder einmal Feminist*innen mit den gleichen Vorurteilen beschimpft: Sie wären Männerhasser*innen, fühlten sich ständig nur angegriffen und wieso bitte erlauben sie sich als Feminist*innen eigentlich ein lila Twitter Theme zu haben? (Btw: Was wäre ich nur ohne meine Lieblingsfarbe rosa ❤ ?). Auch spannend: Obwohl in keinster Weise die Rede von „angegriffen“, „wütend“, aufgeregt“, „diskriminiert“, „Männer“ und „Patriarchat“ war (auf einen agitierten Gemütszustand konnte allein das polemisierende Phrasing hindeuten), wurde die Autorin mit diesen Attributen sofort in Verbindung gebracht. Einerseits sind das Narrative, die seit Jahrhunderten verwendet werden, um die Meinungsäußerung von Frauen kleinzuhalten und in den Bereich des Überemotionalen, Hysterischen und Irrationalen zu verdrängen. Andererseits wird deutlich, dass viele Menschen, die negative Kommentare verfassten, durchaus verstehen, was Sexismus ist und wie dieser Funktioniert, aber im Gegenzug nach wie vor immer noch ein negatives Bild des Feminismus herrscht.

Wieder einmal schaffen es ungerechtfertigte und sinnlose, allein auf Konfrontation ausgerichtete Kommentare manchen Feminist*innen, ebenso wie hier ganz allgemein Autor*innen und Kommentator*innen, die Lust bzw. die Motivation an jeglicher eigenständiger Beteiligung an derlei wichtigen Themen zu nehmen.

2. Man(n)! nutzt es für die eigenen Vorteile und dreht das Problem nur um

… und das beste Beispiel hierfür ist:

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https://twitter.com/GQ_Germany/status/887612941222248449

Viele der Missverständnisse (siehe auch Kommentare wie „Meiner Frau gefällt kein einziger aus deiner Auswahl. Ist vielleicht deine Auswahl statt sexistisch nur egoistisch?“ oder „Links trifft auf alle meine Exfreundinnen zu“) liegen darin begründet, dass der Autorin unterstellt wird, sie wolle zeigen, welche Filme Frauen* eigentlich sehen wollen.

Dies eröffnet beispielsweise GQ (siehe Tweet, ebenso wie die dazugehörige Verlinkung) die Möglichkeit die Aktion in ihrem eigenen Sinne zu nutzen: „Unsere Heldin des Tages … was Frauen wirklich (sehen) wollen“ spielt eindeutig darauf an, dass Frauen (ganz allgemein und jede natürlich) „Aktion“ wollen würden. Am besten natürlich nicht nur im Film. Das erinnert mich an eine der unangenehmeren Episoden im Verlauf der Ausstrahlung des Wonder Woman Films: Selbst wenn Frauen mal in einer actionreichen Hauptrolle zu sehen sind, dann oft leider nur als objektiviertes Verkaufsinstrument des „male gaze“.

Beachte dabei auch die Bildunterschrift im dazugehörigen Artikel:

„Links: Was Saturn meint, was Frauen wollen. Rechts: Was eine Frau meint, was Frauen wollen“

Doch genau hierin liegt das Problem, auf das eigentlich aufmerksam gemacht werden sollte:

„Was ich als Frau schaue“ soll eben keine Demonstration von Egoismus sein, sondern die Idee ad absurdum führen, dass es einen einheitlichen Geschmack für ein Geschlecht gibt.
Die ausgewählten Filme stammen bewusst nicht aus der Kategorie „Action“, sondern vom einen Meter entfernten Blockbuster-Tisch. Es sind also Filme, die sich sehr gut verkaufen und dementsprechend wohl auch von vielen Frauen gesehen werden. Zwar lässt sich für die Filme des „vorher“-Bildes die Aussage treffen, dass sie von mehr Frauen als Männern gesehen werden. Aber nur weil 70% eines Filmpublikums aus Frauen besteht, heißt das nicht, dass sich dieser Wert auf 70% aller Frauen münzen lässt. Auch heißt das nicht, dass Feminist*innen (wie auch mir in der Diskussion vorgeworfen wurde) Statistik und Marketing nicht verstehen würden oder deren Ergebnisse schlichtweg ignorieren würden, um ihre eigenen Präferenzen über die der Mehrheit zu stellen. Statistiken und das daraus resultierende Marketing bilden diese einen Status Quo ab, was aber nicht heißt, dass dieser nicht kritisiert werden darf.

Fast genau so häufig wie die Frage nach Statistik und Marketing fiel die Aufforderung, „man“/ „sie“ / „der (moderne) Feminismus“ solle sich endlich mal für Wichtigeres einsetzen (- nebenbei bemerkt ein paradoxer Vorwurf von Leuten, die ihre Lebenszeit darauf verwenden, Kommentare in sozialen Netzwerken zu verfassen).

Genau so geht es nicht um DVDs, sondern um die Selbstverständlichkeit, mit der nach Geschlecht Zuständigkeitsbereiche zugeteilt werden. Eben im Kleinen, wenn die Identifikation mit gefühlvollen Geschichten marketingtechnisch nur Frauen zugeschrieben wird, oder im Großen, bei erwarteten Verhaltensnormen, Berufswahl, in Beziehungen und Familien.

Hier wird verkannt, dass es nicht um DVDs, Filmauswahl und Saturn im Speziellen geht, sondern um die Selbstverständlichkeit, mit der nach Geschlecht Zuständigkeitsbereiche zugeteilt werden. Das beginnt im Kleinen, bei der Wahl des Spielzeugs, der Düfte, der Filmauswahl, bei der die Identifikation mit gefühlvollen Inhalten nur Frauen zugeschrieben wird. Und es spiegelt sich im Großen wider: Wenn von Männern oder Frauen ein bestimmtes Verhalten, eine bestimmte Berufswahl, eine bestimmte Rolle in Beziehungen, Freundeskreisen und Familien erwartet wird. (Oder, um diese Perspektive nicht zu vernachlässigen: Wenn erwartet wird, sich einem der beiden Geschlechter zuordnen zu müssen!) Die mitunter auch aus mangelnder Identifikation mit gefühlvollen Inhalten resultierende Erwartungshaltung, statt Gefühlen Stärke zu demonstrieren, schadet auch Männern. Auch hier im Kleinen („du Mädchen / Pussy /…“) wie im Großen, was ein Blick auf Mental-Health-Statistiken und Suizid-Raten zeigt (https://www.vice.com/sv/article/jmbnp7/a-stiff-upper-lip-is-killing-british-men-344). Gerade Äußerungen wie die von GQ zeigen, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer bezüglich ihrer Interessen, Eigenschaften und vielem mehr entindividualisiert und in eine Schublade gesteckt werden.

Wenn euch die durch zementierte Geschlechterrollen vorgenommene Einengung nicht betrifft, ihr kauft und konsumiert, was ihr wollt, ohne sozialem Druck ausgesetzt zu sein und vor allem keine Genderklischees auf andere Menschen projiziert, freut mich das sehr – aber es gibt Menschen, denen das nicht so geht.

3. Auch in Problemen lassen sich gute Aspekte finden …

… manchmal muss man auch gar nicht so lange suchen: Das Schöne an Social Media und hier im Besonderen an Twitter ist die Einfachheit des Austausches und der Kommunikation. Manchmal kann das ganz schön anstrengend sein – aber vielleicht sind es die neuen Vernetzungen mit anderen Feminist*innen trotzdem wert gewesen!

Trotzdem sollte man manchmal nicht zögern und Twitter auf stumm schalten…

4. Überlegungen zum Schluss – meine obligatorischen PS:

1) Ähnliche Geschichte, andere Gedanken: http://mammalssuck.blogspot.de/2017/06/portrait-of-unexpected-twitter-storm.html

2) An alle, die plötzlich sehr um (unterbezahlte) Saturn-Mitarbeiter*innen besorgt sind: Zuverlässige Augenzeug*innen bestätigen, dass die Ordnung allerspätestens am Montag wiederhergestellt war.

3) Daran anschließend: Wer noch nie im Einzelhandel etwas an einen falschen Platz zurückgeräumt hat (weil er*sie es beispielsweise doch nicht kaufen wollte), werfe den ersten Stein.

4) Und: Wie wären wohl die Antworten ausgefallen, wenn ein heterosexueller Mann den Tweet verfasst hätte?

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2 Kommentare zu „Was alles in „sexistische Kackscheisse“ und „ich als Frau“ hineininterpretiert werden kann – oder: Wann man die Twitterbenachrichtigungen ausschalten sollte

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